Seit mehreren Jahren (!) bin ich entsetzt darüber wie manche Menschen, die sich "Christen" nennen, mit anderen Menschen, die sich auch "Christen" nennen, umgehen. Dieses Entsetzen war mir mal mehr mal weniger präsent. Seit einigen Wochen nimmt dieser grosse Komplex wieder mehr Platz in meiner Warnehmung ein.
Und es kostet mich auch einiges an Gehirnschmalz mich damit auseinander zusetzen.
Es geht hierbei nicht darum, das man theologische Differenzen hat. Die sind unvermeidlich auf einem GEMEINSAMEN Weg. Selbst wenn dieser gemeinsame Weg sich an irgendeiner Stelle trennt und jeder seinem Weg folgt in Richtung auf das EINE Ziel. Es geht mir mehr darum WIE diese Menschen in diesen Differenzen miteinander umgehen. Nichts gegen gute, vielleicht sogar hart geführte Diskussionen oder Gespräche die um die Sache als solche geführt werden. Gerade das kann doch weiter bringen.
Was ich zur Zeit sehe (und schon länger beobachtet habe) ist der Punkt, dass Menschen die über lange Zeit zusammengearbeitet haben, sich bis weit unter die Gürtellinie bekämpfen. Delinquenten werden von Veranstaltungen ausgeschlossen. Falls Sie irgendwohin zum Predigen eingeladen werden, darf für diese Veranstaltung keine Werbung in gewissen Kreisen gemacht werden. Man verliert trotz guter Arbeit seinen Job oder wird aus ehrenamtlichen Tätigkeiten verdrängt. Soweit ich das sehe alles "nur" weil man jetzt das andere, das falsche Parteibuch in Händen hält. Oder weil man sagt, dass man sich z.Zt. an gewissen Dingen in dieser Gemeinde/Bewegung/Gruppe/Vereinigung stört und mit diesen nicht klar kommt. Ausgrenzung und Abstrafung sind tolle Mittel um den anderen mundtot zu machen. Erinnert mich ein bisschen an Demokratie chinesischer Machart. Beschwerden? Kritik? Andere Meinung über den selben Bibelvers? Nicht nötig! Wir leben doch im Land des Lächelns! Entschuldigt bitte die Ironie...
Der Vergleich mit dem Parteibuch hinkt. In der Politik wird sich behakt um von den Wählern Stimmen zu bekommen. Oder geht ´s darum auch bei den o.e. Menschen? Man sammelt Jünger hinter der eigenen Theologie. Und wer die meisten Stimmen bekommt hat recht? Das haut in der Politik auch nicht hin...
Man muss sich abgrenzen (gilt auch für Gemeinden) und Werte/Standpunkte definieren um nicht in einem Einheitsmus zu enden. Man darf und muss im weitesten Sinne exklusiv sein. Aber das ändert doch nichts an dem einen, gemeinsamen Ziel!
Ausdrücklich möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass es dabei nicht um mich geht. Es kratzt auch nicht an meinem Glauben oder an meiner Beziehung zu Gott. Aber es verletzt mich so etwas zu sehen, weil es gute und enge Freunde betrifft und einige andere Menschen, auf die ich einiges halte.
Es ist schwer zu begreifen wenn ein Mensch, mit dem man jahrelang für ein und dieselbe Sache gearbeitet/gekämpft hat, irgendwann eine andere Richtung einschlägt. Was aber anscheinend nicht gesehen wird ist der Punkt, das die meisten das Ziel NICHT aus den Augen verlieren sondern nur einen anderen Weg dorthin suchen. Auf die Diskussion, das es Wege gibt die nicht zum Ziel führen, lass ich mich an dieser Stelle NICHT ein. Es geht hier um Menschen, die nicht den Glauben ramponieren oder ihm abschwören. Es geht um Menschen, die FüR SICH einen anderen Zugang zu Gott suchen oder über die Zeit eine andere Vision für ihre Gemeindearbeit oder ihr Leben gefunden/entwickelt haben. Sie spielen immer noch im selben Verein aber jetzt nicht mehr als Defensives Mittelfeld sondern auf der Torwartposition! Selbe Strasse, andere Hausnummer. Selber Zug, anderes Abteil.
Ich glaube, wir haben ein Problem damit, wenn Menschen unserer langen hingebungsvollen Arbeit mit Kritik gegenüberstehn, sie nicht so akzeptieren können oder einen anderen Weg für richtig halten. Wir suchen nach der einen Wahrheit, der einen einzigen Theologie. Einer Auslegung der Bibel, die für alle unumstösslich zu treffend ist. Und sind selbst doch oft derbe inkonsequent wenn es um die Bewertung der Früchte unserer Arbeit geht.
Wie oft streiten wir uns um Formen und Traditionen und wie weit bringt uns das? Wie weit liegen wir in den Kernfragen wirklich auseinander? Was von dem worum wir kämpfen ist Theologie (im Sinne von Wort Gottes-> relevant) und was ist Tradition (im Sinne von erlernte Formen/Werte/Ausdrucksweisen/etc.)?
Ich hab vor einiger Zeit eine Geschichte gehört. Ob sie so passierte, weiss ich nicht. Ich finde die Aussage aber ziemlich klasse: Auf einem christlichen Festival sind ein sehr konservativer evangelischer Theologe und ein Prediger einer charismatischen Bewegung gebeten worden ein Seminar zusammen zu machen. Jeder der beiden musste sich mit den Positionen des anderen auseinandersetzen um dieses Seminar zu gestalten. Nach dem Seminar kamen beide zu der Einsicht, das ihre Ansichten zu 97% übereinstimmten. Die restlichen 3% seien so unwichtig, das man sie eigentlich vernachlässigen könnte.